Perfectly imperfect materials

a new sense of aesthetics calls for sustainable beauty.

Benötigt man im Produkt- und Verpackungsdesign ein neues Verständnis von Schönheit? Weg vom Perfektionismus, hin zu mehr Raum für das Zufällige und Natürliche – und das auch in Branchen, bei denen bisher großer Wert auf ein pompöses Erscheinungsbild und ein makelloses Aussehen gesetzt wurde? Vor allem in der Luxusindustrie soll, wenn möglich, alles perfekt poliert sitzen und dazu noch brandneu sein. Doch auch hier ändert sich mittlerweile das Mindset.

Viele angesagte Marken und Branchen trauen sich bereits, ihren Look zu überarbeiten und werden somit zum Vorreiter. Und das ist auch gut so. Der folgende Text ist ein Plädoyer für die Rückbesinnung: zu unverarbeiteten Materialien, zum Ursprung.

Perfectly imperfect materials – a new sense of aesthetics

 
Viele Branchen stehen vor einer stilistischen Wende oder sind schon mittendrin. Natürliche und unverarbeitete Materialien erleben ein Comeback – nicht nur in einer demeterzertifizierten Nische finden sie Einzug im Produkt-, Packaging- und Fashion Design, sondern auch in Branchen, in denen Luxus und Lifestyle großgeschrieben wird. Weg vom Prunk, hin zum nachhaltigen Luxus.

Insbesondere in der Mode sieht man vermehrt visuelle Experimente. Natürlichkeit ist angesehen, Gebrauchtes nicht mehr nur nutzloses Zeug und Second Hand sowie Second Use wird eine neue Bedeutung und Wertigkeit zuteil. Reuse, Repair, Recycling und Upcycling finden genauso Einzug in grosse Luxushäuser wie eine neue Form des Waste Managements. Die Benchmark hat sich verschoben. Patchwork ist auch bei namhaften Brands zu sehen und „aus alt, mach neu“ wird salonfähig.

Burberry hat im Jahr 2020 eine Trench Coat Kollektion aus alten Fischernetzen gelauncht. Im selben Jahr hat die Marke das ReBurberry Fabric Program auf den Weg gebracht – Eine Kollaboration mit dem British Fashion Counsel. Das ReBurberry Fabric Program spendet Stoffreste an Modestudenten in ganz Großbritannien, um Abfall zu vermeiden und gleichzeitig die kommende Generation von Designern zu unterstützen.

fashion show image, woman in beige dress with special shape

Bei der Modemarke Loewe ist die Herrenmode von der Natur inspiriert und fokussiert sich auf nachhaltige Materialien, Wiederverwendbarkeit und Repurposing sowie alternative Herstellungsprozesse. Sie beschreibt:

„The permanent collection of menswear is inspired by the great outdoors and focuses on sustainability in three main areas: material used, manufacturing processes and transparency of vendors. It features a range of functional essentials in low-impact performance fabrics. The latest collection reassesses process, materials and the entire notion of craft with a playful practicality and timeless connection to nature. Key pieces are crafted from materials and items with a past life, including jackets crafted from vintage Mexican carpets, quilts and parachutes, and a new line of roll top backpacks and camera bags made from super lightweight recycled nylon.”

Natural dyes.

Pangaia verbindet Natur und Technik und bezeichnet sich als „material science brand on a mission to save our environment“. Die Firma experimentiert beispielsweise damit, natürliche Farben in der Textilbranche zu integrieren: „We have revamped our core essentials once again, this time turning to Botanical plants, fruits and vegetables. When developed in the right way, these dyes can bring us fresh tones of color that are vibrant but planet-friendly too.”

dyied, coloured cotton cloth

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung sieht sich auch die Branche der Verpackung vor einer Veränderung. Nicht nur auf technischer Ebene ergeben sich neue Möglichkeiten, sondern auch im Hinblick auf das Verständnis von Ästhetik. Der (optische) Ton wird rauer, aber auch ehrlicher. Zurück zum Ursprung, zurück zum Natürlichen. Ein Schritt in die Vergangenheit kann auch ein Sprung in die Zukunft sein. Nicht früher sondern am Anfang war vieles nicht perfekt, aber vieles dennoch besser. Wo sonst Wert auf eine pompöse Ausführung sowie eine makelloses Gestaltung gesetzt wurde, erlaubt man sich nun Spielraum für Kreativität und das Zufällige, denn die Natur ist nicht perfekt. Sie ist „perfectly imperfect“. Ihre Schönheit liegt im Makel, in der sich ständig ändernden Form, in ihrer Unvorhersehbarkeit. Damit lässt sich spielen und einzigartige Produkte kreieren.

Oddity Design Studio, das die Marke Oddity Fragrance entwickelt hat, macht das Zufällige zum ganz Besonderen und beschreibt: “Oddity Fragrance stands for the beauty of imperfections: raw corners, untouched nature, exposed structure, technical details from behind the scenes. As it is, messy, pure, artistic. Each fragrance is a complex olfactory composition. They are whimsical, eccentric, sometimes dramatic and always expressive of the physical and emotional worlds we live in. They are nebulous, never perceived the same way by different noses. Bottles are carefully designed artifacts — unique objects to collect. Each cap is made by hand from imperfectly beautiful raw materials encapsulated in epoxy resin. Each cap is one of a kind with its unique shape and pattern.”

Ein weiteres Exempel für diese Art von Schönheit ist ein Alleskönner der Natur, dessen positive Eigenschaften auch für die Packaging Branche von grosser Bedeutung sein wird: Mycelium.

Es beschreibt das Wurzelnetzwerk von Pilzen, das in seiner ausgehärteten Form sehr variabel und vielseitig einsetzbar ist. Das 100% natürliche und heim-kompostierbare Material findet jene Tage Einzug in die Verpackungs- und Innenarchitekturbranche. Es wirkt isolierend und schützt empfindliche Produkte optimal. Der Look ist einzigartig und besonders. Es erinnert an ein grobes Stück Sandstein. Je nachdem, wie man es aushärten lässt, fühlt sich die Oberfläche mal mehr oder weniger weich, mal angeraut an. Es kann in organischer Form wachsen und ist somit eine viel flexiblere und vor allem umweltschonende Alternative als Kunststoff.

Wer glaubt, der Look ist nichts für filigrane Produkte, der täuscht sich. Die grobe Optik setzt gerade dann einen spannenden Kontrast, sehr schön zu sehen bei The Skinfluencer. Mycelium steht für eine neue Form von Ästhetik, in der der natürliche Makel zelebriert wird. Als Naturmaterial sieht kein Mycelium Teil exakt so aus wie das andere. Ähnlich wie bei recycelten Kunststoffmöbeln, in denen viele bunte Stippen zu sehen sind, erhält so jedes einzelne Stück seine Einzigartigkeit.

Stella McCartney arbeitet schon längst mit innovativen Materialien, die echtes Leder oder Kunststoff reduzieren oder ersetzen und sie bezeichnet Fungi als die Zukunft der Mode, „fungi are the future of fashion“. Ihre Sommer Kampagne von 2022 drehte sich rund um das neue alte Material.

Die großen Marken verstehen, dass Konsum bewusster gelebt werden muss. Minimalismus und Zurückhaltung liegen im Trend, und der Fokus auf Form und Materialität nimmt zu, wie „Quiet Luxury“ verrät.

Quiet Luxury schafft Raum für das, was wirklich wichtig ist: Das Produkt und das damit verbundene Erlebnis. Auf wenige, dafür langlebige Qualitäts-Produkte, die gut gepflegt werden wollen. Es setzt auf Hochwertigkeit und Haptik und muss dabei gestalterisch nicht laut sein. Dies macht sich nicht nur optisch bemerkbar, sondern auch emotional. Ähnlich wie beim Japandi Stil im Interior-Design, werden Gefühle der Achtsamkeit und Entspannung, die auch durch ein Produkt- oder Verpackungserlebnis (>> Aesop) ausgelöst werden können, hier immer wichtiger.

Wenn alles drumherum zu schnell und verschwenderisch wird, dann muss man sich von innen auf die Ruhe zurückbesinnen und sich eine Oase schaffen. Statt des Einsatzes von künstlichem Kitsch, Edelmetall, Heißfolie und glänzendem Lack, fokussiert man sich optisch auf eine rohe Form der Materialität – eine Form, die Mutter Natur hervorgebracht hat: Papier, Stein, Ton, Gras, Muschel oder Pilz werden – in Kombination mit der entsprechenden Technik – die Helden von morgen sein.